Integration fördern – ohne zusätzliche Stadträte

Das Bürgerbegehren und die Diskussion um die Schaffung von zusätzlichen Stadträten hat in der Frage des Umgangs mit den Themen Migration und Integration zu einigen Irritationen geführt. Hintergrund ist die Stelle eines weiteren hauptamtlichen Stadtrates, der laut Koalitionsvertrag zwischen SPD und Freien Wählern zur „Sicherung der Integrationsziele“ geschaffen werden soll.

Die Wählerinitiative Kelsterbach, die das Bürgerbegehren unterstützt, will mit der Ablehnung eines solchen Postens keinesfalls eine Abwertung der wichtigen Integrationsziele – Im Gegenteil: Wir verfolgen das Ziel einer echten, ehrlichen Integrationsarbeit und wollen keine Klientelpolitik, die vordergründig die Interessen einer einzelnen Gruppe vertritt. Kulturelle Vielfalt, Religionsfreiheit und Toleranz, ein respektvolles gesellschaftliches Miteinander in Anerkennung der Verschiedenheit aller Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft sind unumstößliche Grundpfeiler des Zusammenlebens, nicht nur in Kelsterbach. Wir distanzieren uns dabei ausdrücklich vom Vorwurf fremdenfeindlicher Beweggründe, die fälschlicherweise von manchen Kritikern erhoben werden.

Um unsere Vorstellungen vom Zusammenleben der verschiedenen Gruppen und Menschen in Kelsterbach darzustellen sowie Missverständnissen und falschen Behauptungen in diesem Zusammenhang entgegenzuwirken, möchten wir mit diesem Diskussionspapier die Situation in Kelsterbach erläutern und unsere Forderungen zur Integrationsarbeit näher bringen. Ein Bekenntnis, das wir von der lokalen Politik bislang vermissen, ebenso wie entsprechende Impulse, die der hiesige Ausländerbeirat in seiner bisherigen Arbeit leider nicht geben konnte.

Förderung der sozialen und gesellschaftlichen Integration

Die gleichberechtigte Teilhabe von Zuwanderern an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist eine Herausforderung und Chance zugleich. Kelsterbach hat einen Anteil ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürgern von fast 30%. Einige Zuwanderer haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, so dass der Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund auf über 40% geschätzt wird.

Doch auch mit diesem außerordentlich hohen Anteil an Einwanderern lief Kelsterbach in den letzten Jahrzehnten niemals wirklich Gefahr, das stabile gesellschaftliche Gleichgewicht zu verlieren. Viele MigrantInnen der ersten Generation verstehen sich mittlerweile als vollständig integrierte Bürger. Nicht zuletzt die finanziellen Verhältnisse in unserer Stadt ermöglichten vergleichsweise hohe freiwillige und  soziale Leistungen, die – wenn sie auch nicht explizit auf Integration ausgerichtet waren – positive Effekte für das friedliche Zusammenleben hatten und noch immer haben.

Es gibt bereits vielfältige Initiativen und Ansätze zur Förderung des Integrationsprozesses. Sei es im ausgeprägten Kelsterbacher Vereinsleben oder in den Schulen. Auch in der Verwaltung und im Projekt Kelsterbach Familienstadt sind Ideen und Kompetenzen vorhanden. Diese Strukturen, Kenntnisse und Fähigkeiten gilt es zu erhalten und weiter auszubauen.

Wir sind der Auffassung, dass Kelsterbach in Sachen Integration keineswegs bei Null beginnt. Anstatt hohe Summen in einen zusätzlichen hauptamtlichen Magistratsposten zu stecken, sähen wir die Gelder lieber in konkrete Projekte zur Förderung der Integration investiert.

Stärkung von Eltern und Familien

Welche Teilhabemöglichkeiten Kinder mit Migrationshintergrund am gesellschaftlichen Leben haben, hängt stark von ihrem sozialen und sprachlichen Umfeld ab. Auf dem Weg zur Chancengleichheit spielt das Vorschulalter eine große Rolle. Es ist wünschenswert, dass die Zahl der Krippenplätze weiter ausgebaut wird. Die Elternbeiträge sind gerade in der Kleinkindbetreuung zu hoch. Es ist zu prüfen, ob die Krippen- und Kindergartengebühren gesenkt oder je nach Einkommen für Geringverdienende gestaffelt sein können. Darüberhinaus wissen viele nicht, welche finanziellen Fördermöglichkeiten es bereits gibt. Der Krippenbesuch erhöht nachgewiesenermaßen die späteren Bildungschancen in der Schule. Und Migrantenkinder, die keinen Kindergarten besuchen und wenig deutsche Sprachkenntnisse haben, sind bei der Einschulung doppelt benachteiligt. Große Erfolge hingegen zeigen beispielsweise die Vorlaufprogramme, die die Grundschulen mit den Vorschulkindern durchführen.

Wir erkennen die hervorragende Arbeit der konfessionellen Kindergärten und ihre Bemühungen um Integration ausdrücklich an, doch ist die im Sozialgesetzbuch vorgeschriebene Vielfalt der Träger bei den Kinderbetreuungseinrichtungen nicht gegeben. Einerseits haben es Erzieherinnen und Erzieher ohne Kirchenzugehörigkeit schwer, bei den Kelsterbacher Einrichtungen eine Stelle zu bekommen, andererseits sind die Auswahlmöglichkeiten für Eltern eingeschränkt. Wir sind der Meinung, dass es an der Zeit ist, in diesem Zusammenhang über die Alternative eines Kindergartens unter der Leitung eines freien Trägers nachzudenken, sofern der Bedarf an Betreuungsplätzen eine weitere Einrichtung nötig macht.

Auch für die Eltern und vor allem die Mütter sind Kinderbetreuungsplätze wichtig, denn diese schaffen Freiräume: für Erwerbstätigkeit, oder für Sprachkurse und Programme zur beruflichen Integration sowie zur Stärkung mitgebrachter beruflicher Kompetenzen.

Schulen

An den Kelsterbacher Schulen gibt es sicherlich die meisten Kompetenzen und Erfahrungen im Umgang mit dem Thema. Seit Jahren ist der prozentuale Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund so hoch, dass im Umgang damit bereits ein hohes Maß an Normalität erreicht ist. Die umfangreichen AG-Angebote in der Karl-Treutel-Schule oder auch die ausgezeichnete gute Berufsvorbereitung in der IGS tragen besonders dazu bei. Die Kelsterbacher Schulträgerschaft schafft durch überdurchschnittliche Ausstattung ebenfalls gute Voraussetzungen. Der Dialog und die Stärkung interkultureller Kompetenzen sollten in enger Zusammenarbeit mit den Kelsterbacher Schulen besonders gefördert werden.

Bürgerschaftliches Engagement

Die Förderung und Unterstützung ehrenamtlichen Engagements ist sowohl für Menschen mit Migrationshintergrund, wie auch für die deutschstämmige Bevölkerung ein wichtiger Aspekt für die Integrationsarbeit. Mit unserem Vereinsleben aber auch mit Programmen wie den ‚Elternlotsen‘ des Projekts ‚Kelsterbach Familienstadt‘ gibt es bereits wichtige und gute Voraussetzungen. Wir wünschen uns eine Stärkung des interkulturellen Dialogs zur Sensibilisierung der Gesellschaft und zur Förderung gegenseitigen Verständnisses und Respekts. Besonderes Augenmerk ist auf die Vielfalt der in Kelsterbach vertretenen Kulturen und Nationen zu richten.

Förderung der Jugendarbeit

Nicht nur die Jugendarbeit der Vereine, auch die Angebote der Stadt sollten dringend ausgebaut werden. Gerade für heranwachsende Jugendliche sind die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung in Kelsterbach bekanntermaßen außerordentlich dürftig. Dem geplanten Umzug des Jugendzentrums auf das ENKA-Gelände stehen wir positiv gegenüber. Ein Ausbau des Angebots und die Erweiterung der Öffnungszeiten halten wir für ebenso dringlich wie die Errichtung weiterer Orte und Anlagen für Jugendliche. Interkulturelle Projekte sollten auch dort entwickelt und angeboten werden.

Ortsstrukturen und Stadtentwicklung

Zu Beginn der Anwerbung von „Gastarbeitern“ in den 1950er und 60er Jahren hatte es strukturelle Fehlentwicklungen gegeben, die bis heute nachwirken. So entstanden Wohnsiedlungen, die fast ausschließlich von MigrantInnen bewohnt waren, die, so die damaligen Annahmen, nach einer gewissen Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Von Integration war zu dieser Zeit keine Rede. Auch in Kelsterbach sind diese strukturell benachteiligten Straßenzüge bis heute mehrfach vorhanden.

Die Entwicklung des Enka-Geländes und auch die Umgestaltung des Mainvorlandes sollten dazu genutzt werden, die Wohnsituation für die Anwohner der Rüsselsheimer Straße und der Niederhölle zu verbessern. Nach der Umwidmung der B43 und der provisorischen Verkehrsberuhigung ist eine Perspektive zu entwickeln, wie die Rüsselsheimer Straße als Anwohnerstraße in Zukunft gestaltet werden kann. Auf die Nassauische Heimstätte ist noch stärker einzuwirken, dass deren Kelsterbacher Bestände eine Aufwertung und Modernisierung erfahren. Generell bietet auch die Umgestaltung der Stadtmitte Chancen, dass die Stadt wieder lebenswerter wird und Orte entstehen, an denen man gerne verweilt und wo sich Menschen begegnen.

Ausländerbeirat

Der Gesetzgeber hat mit den Ausländerbeiräten ein wichtiges Instrument der Integration geschaffen, das die Belange und Interessen der Migrantinnen und Migranten wirksam vertreten soll. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Herr Isikli, ist seit 15 Jahren Vorsitzender des Ausländerbeirates. Doch wir fragen: Herr Isikli, was haben Sie in den letzten 15 Jahren als Chef des Ausländerbeirates gemacht oder versäumt, dass diese Stelle des zweiten hauptamtlichen Stadtrates für Integration nun nötig sein soll?

Leider beschränken sich die Arbeit und die Ziele des Ausländerbeirates und die der Freien Wähler immer wieder sehr deutlich auf die Interessen einer einzelnen Gruppe. Es macht nicht den Eindruck, dass hier die Belange aller MigrantInnen in gleichem Maß berücksichtigt werden. Sehr viele Unterschriften von Nicht-Deutschen und eine Vielzahl entsprechender Äußerungen an den Ständen des Bürgerbegehrens zeigen, dass sich viele Gruppen und Nationalitäten von dem Ausländerbeirats-Vorsitzenden oder den Freien Wählern nicht vertreten fühlen.

Wir befürchten, dass Macht- und Prestigegründe für Herrn Isikli und die Freien Wähler im Vordergrund stehen vor wichtigen Sachthemen und berechtigten Interessen der MigrantInnen.

Die Koalition der Freien Wähler mit der SPD

Nach der Kommunalwahl verlor die SPD erstmalig seit über 60 Jahren die absolute Mehrheit. Nach 14 Monaten in der ungewohnten Oppositionsrolle waren die Sozialdemokraten zu großen Zugeständnissen bereit, die ihnen die Freien Wähler entsprechend der Koalitionsvereinbarung vom 06. Juni zur Sicherung der Mehrheit abringen konnten. Für Sachforderungen, die die Belange der MigrantInnen betreffen, hätte es ein großes Potential gegeben. Doch stattdessen wurde der Posten eines weiteren hauptamtlichen Stadtrates vereinbart, der unnötig hohe Kosten verursacht und nun Gegenstand des Bürgerentscheides werden soll. Ein personelles Zugeständnis, das in großen Teilen der Bevölkerung nicht nur auf Unverständnis stößt, sondern letztlich kontraproduktiv ist für die Ziele der Integration. Durch die Polarisierung der BürgerInnen in dieser Frage wurde in Kauf genommen, dass Ressentiments geweckt und fremdenfeindliche Gesinnung in undifferenzierter Sichtweise mit der Frage verknüpft wurden. Die Leidtragenden sind die Migrantinnen und Migranten.

Fazit

Die Wählerinitiative Kelsterbach fordert eine breite gesellschaftliche Debatte über das Thema. Analog zu anderen Städten und Gemeinden rufen wir den Magistrat auf, einen entsprechenden Prozess und die Erarbeitung eines Integrations-Leitbildes für die Stadt in Gang zu setzen.

Die Einrichtung einer Koordinations- und Anlaufstelle zur Sicherung der Integrationsziele in Kelsterbach ist sicherlich begrüßenswert. Ein geeigneter Rahmen müsste in enger Absprache mit den Trägern (Schulen, Kindergärten, Vereinigungen, Verwaltung) gefunden werden. Eine hauptamtliche Stelle hierfür einzurichten, die von den Freien Wählern besetzt werden soll, lehnen wir ab.