Stellungnahme der Wählerinitiative Kelsterbach zur Gestaltung der neuen Stadtmitte
Es ist bekannt, dass sich die Wählerinitiative Kelsterbach bereits in der Planungsphase für einen Platz ohne Parkplätze und auch für den Erhalt der großen alten Bäume einsetzte. Das hätte ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Wir hatten uns damals für einen urbanen Platz mir hoher Aufenthaltsqualität ausgesprochen, der eine richtige „Neue Mitte“ hätte werden können.
Die Mehrheitsverhältnisse in Kelsterbach entschieden anders und so wurde es umgesetzt. Als im Sommer letzten Jahres die Detailplanungen für den Sandhügelplatz vorgestellt wurden, fragten wir nach, wie es mit den Wegen und Querungsmöglichkeiten für Fußgänger gemacht wird. Damals erklärte Bürgermeister Ockel, dies sei noch nicht konkret geplant und werde rechtzeitig geschehen. Anfang 2017 fragten wir erneut beim Bürgermeister nach. Darauf erhielten wir keine Antwort.
Zuletzt haben wir im Parlament beantragt das Thema Nahmobilität, also die Mobilität zu Fuß und mit dem Rad, systematisch und strategisch anzugehen und dafür im Haushalt Mittel bereit zu stellen. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen von SPD und CDU abgelehnt mit dem Hinweis, es werde bereits genug getan.
Die „neue Mitte“ ist seit wenigen Wochen eröffnet. Zeitgleich mit der Eröffnung wurde der letzte Zebrastreifen in Höhe der Friedensstraße entfernt. Viele Schulkinder der Karl-Treutel-Schule müssen auf ihrem Schulweg die Mörfelder Straße überqueren. Dafür gab es früher eine Fußgängerampel. Für die Grundschulkinder, gerade die Kleinsten, bedeutet die Überquerung der Straße Stress und Unsicherheit.
Viele Eltern beschwerten sich bei der Stadt über den fehlenden sicheren Fußgängerüberweg und erhielten daraufhin von der Verwaltung folgende Stellungnahme:
„Für die Schüler der Karl-Treutel-Schule (Schulweg) wird in der Mörfelder Straße zwischen Rathaus und Friedensstraße eine Querungshilfe (Zebrastreifen) eingerichtet, der natürlich auch von anderen Fußgängern genutzt werden kann.
In Tempo 30 Zonen und Straßen werden gem. Straßenverkehrsordnung grundsätzlich keine Fußgängerquerungshilfen (Zebrastreifen) eingerichtet. Die dort vorgenommene Verkehrszählung bestätigt diese Verfahrensweise. Der betreffende Bereich der Mörfelder Straße wurde extra auch zusätzlich aufgepflastert , sodass dem Autofahrer signalisiert wird, dass er sich hier besonderes rücksichtsvoll und aufmerksam zu verhalten hat. Dies ist Standard in der Verkehrsplanung.“
Die Antwort der Verwaltung ist in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend:
1.
Der „provisorische Zebrastreifen“ in Höhe der Friedensstraße wurde erst nach einigen Wochen und heftigen Protesten von Eltern und Karl-Treutel-Schule angelegt. Es ist allerdings häufig zu beobachten, dass parkende Autos nicht den Schutzabstand einhalten. Die Sicherheit des Zebrastreifens könnte noch verbessert werden, z.B. eine Fahrbahnverengung und/oder zusätzliche Markierungen. Zudem ist der Standort zu weit von der neuen Stadtmitte entfernt. Fußgängerinnen rund um den Sandhügelplatz haben nichts davon.
2.
Die Aussage, dass es in Tempo 30-Zonen „grundsätzlich“ keine Zebrastreifen gibt, wurde mehrfach von Amtsträgern vorgebracht. Oft gefolgt von einem Appell an alle Verkehrsteilnehmer sich rücksichtsvoll zu verhalten. Derartige Moralisierungen sind völlig fehl am Platz, wenn es um die Verkehrssicherheit geht. Professionelle Verkehrsplanung geht selbstverständlich von realen Voraussetzungen und Gegebenheiten aus und nicht von einem frommen Wunsch, einem idealisierten Zustand, in dem sich alle an die Regeln hielten.
Der Hinweis auf die Straßenverkehrsordnung ist mehr als ärgerlich. Denn in der STVO steht nichts über die Kriterien zur Einrichtung von Fußgängerüberwegen. Die hierfür ausschlaggebenden „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen“ (R-FGÜ) sollten auch in der städtischen Verwaltung bekannt sein. Diese Richtlinien bieten hinlängliche Möglichkeiten bei Bedarf eben doch Fußgängerwege, auch in Tempo 30-Zonen, einzurichten.
3.
Es wird nichts darüber ausgesagt, auf welche Verkehrszählung sich die Verwaltung bezieht, oder wann diese stattgefunden haben soll. Die letzte bekannte Verkehrsuntersuchung stammt aus dem Jahr 2015 und war ein Teil des Bebauungsplanverfahrens zum Sandhügelplatz (VKT GmbH, Fachgutachten Verkehr Bebauungsplan „Neue Mitte / Sandhügelplatz“ in Kelsterbach, 25.02.2015). Dieses Verkehrsgutachten bezieht sich auf die Leistungsfähigkeit der Kreuzungen. Aussagen über die Nutzung durch Fußgänger sind hier nicht zu finden. Dennoch gibt es Prognosen zum Autoverkehr nach Eröffnung der neuen Stadtmitte. Diese Zahlen geben unseres Erachtens genug Anlass um Fußgängerüberwege nach der R-FGÜ einzurichten.
4.
Die Bezugnahme auf den „Standard in der Verkehrsplanung“ ist hier in Kelsterbach äußerst fragwürdig. Denn von Standards sind wir meilenweit entfernt.
a) Der „Knick“ in der Mörfelder Straße am Beginn des Platzes war extrem gefährlich. Er liegt mitten auf der Kuppe zur Rampe in die Unterführung und ist jetzt – nach der Verbesserung –von der Unterführung kommend besser zu erkennen. Vom Sandhügelplatz aus ist er nach wie vor erst im letzten Moment zu sehen. Der Radfahrstreifen in der Unterführung (der ohnehin seit jeher viel zu schmal ist und jeder Regel widerspricht) wurde in Höhe des „Knicks“ nach einigen Wochen nachgebessert. Das war so schlecht und regelwidrig ausgeführt, dass es jedem erfahrenen Verkehrsplaner von vorneherein hätte klar sein müssen, dass das so nicht geht.
b) Vor dem Ems-Hochhaus sind vier Parkplätze auf voller Breite eingerichtet und ausgewiesen. Weder links noch rechts gibt es einen Gehweg. Fußgänger müssen sich zwischen den Autos hindurchzwängen.
c) Auch gegenüber gibt es keinen richtigen Gehweg. Dort sind Fahrradständer angeordnet, direkt daran schließt sich der Parkplatz Sandhügelplatz an. In diesem Bereich ist zwar Tempo 10 angeordnet, aber wo soll man denn laufen: auf der Fahrbahn?
d) Der Gehweg in der Sandhügelstraße vor der neu eröffneten Tagespflege ist viel zu schmal, an der engsten Stelle keine 80cm breit. Dazu ist er teilweise uneben. Durch neu aufgestellte Schilder und Lüftungsschächte verringert sich die lichte Breite nochmals. Bereits seit zwei Jahrzehnten wird von einer Mindestbreite von 2,50 m ausgegangen, damit Bequemlichkeit und Annehmlichkeit für alle NutzerInnen (nebeneinander, mit Taschen, mit Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator, kleine Kinder mit dem Rad – hier gemäß STVO) gewährleistet ist. Im innerstädtischen Bereich sind regelmäßig erhebliche Mehrbreiten einzuplanen. Auch diese Richtlinien müssten den Planern bekannt sein (Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06; Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen EFA (R 2); Empfehlungen zur Straßenraumgestaltung innerhalb bebauter Gebiete ESG (R 2)).
e) Der Gehweg an der Rückseite des Gebäudes in der Weingärtenstraße ist ebenfalls viel zu schmal. Nur etwa 1,20 m breit. Auch dieser Gehweg wird notorisch zugeparkt
f) Kurz nach der Eröffnung des Sandhügelplatzes waren sämtliche verfügbaren Flächen und das Blindenleitsystem ständig zugeparkt. Hektisch mussten weitere Pflanzkübel nachbestellt werden. Doch weiterhin werden Gehwege, auch von Zulieferern, zugestellt. Dieses Verhalten war und ist vorhersehbar, wird es doch durch niveaugleiche Flächen und fehlende Farbkontraste geradezu heraufbeschworen. Die nun nachträglich erfolgte Einführung eines Halteverbotes in der Sandhügelstraße zeigt, wie wenig vorausschauend gedacht wird. Schlimmer noch: seitdem ist zu beobachten, dass Kurzzeitparker vermehrt den Gehweg blockieren (um wegen des Parkverbotes die Straße maximal freizuhalten). Wir gehen davon aus, dass auch das absolute Halteverbot in Kürze wieder geändert werden muss, weil es der anliegenden Tagespflegeeinrichtung kaum zuzumuten ist, dass BesucherInnen nicht einmal zum Ein- und Aussteigen anhalten dürfen. Auch Kurzbesucher der Sparkasse scheren sich nicht darum.
g) Der gesamte Platzbereich ist in einem einheitlichen Grau gehalten. Die Parkmarkierungen sind kaum zu erkennen. Viele FußgängerInnen bewegen sich verunsichert zwischen den nicht klar abgegrenzten Gehwegen, dem Platz und dem Straßenraum. Selbst der Streit darum, ob das Blindenleitsystem farblich abgesetzt sein muss zeigt, dass den Planern ihr Design das Allerwichtigste war. Es war ihnen wichtiger als die Benutzerfreundlichkeit und wichtiger als die Verkehrssicherheit und damit tatsächlich ein Verstoß gegen die STVO.
h) Die Standards in der Verkehrsplanung gehen von unterschiedlichen Nutzerinnen und Nutzern aus. Grundschulkinder bis 10 Jahren sind noch nicht in der Lage die Entfernung und Geschwindigkeit sich nähernder Fahrzeuge richtig einzuschätzen. Hinzu kommt, dass Kinder durch ihre Größe die Straße nicht so überblicken können, wie Erwachsene. Ihr Blickwinkel ist kleiner. Auch ältere Menschen, die auf Gehhilfen angewiesen sind, Rollstuhlfahrende oder Eltern, die mit Kinderwagen unterwegs haben ein höheres Schutzbedürfnis als die „Fitten“. Für alle diejenigen muss es sichere Möglichkeiten geben die Straße zu überqueren.
i) An der Kreuzung Weingärtenstraße/Lilienstraße/Sandhügelstraße hat sich bedauerlicherweise nichts getan. Hier müssen alle aus dem Neubaugebiet Länger Weg in Richtung Stadtmitte herüber. Auch die BewohnerInnen des Hauses Weingarten, Schülerinnen und Schüler, Fußgänger auf dem Weg zum Einkaufen. Die Straßenquerschnitte im Kreuzungsbereich sind überdimensioniert (siehe beiliegende Skizze). Bis zu 17 Meter Straßenfläche muss überquert werden. Das kann schon mal 20 Sekunden dauern, bis man es von einer auf die andere Seite geschafft hat. Ein herannahendes Auto legt in dieser Zeitspanne bei Tempo 30 über 160 Meter zurück.
In der Planung der Verkehrsinfrastruktur kommt zum Ausdruck welche Verkehrsmittel Vorrang genießen. Trotz Temporeduzierung und Rücksichtnahme hat der motorisierte Kraftverkehr in der „neuen Stadtmitte“ nach den Straßenverkehrsregeln ganz klar die Vorfahrt. Die zu Fuß Gehenden machen jedoch erst eine lebendige Stadtmitte aus. „Vorfahrt“ sollten also vor allem die Fußgängerinnen und Fußgänger genießen.
Zur Verbesserung der Situation in der „neuen Mitte“ schlagen wir dementsprechend folgende Maßnahmen vor:
- Einrichtung von sechs Fußgängerüberwegen gemäß beiliegendem Plan (sandhuegelplatz-fgue.jpg). An diesen Stellen werden die Fahrbahnen am häufigsten überquert. Bei Nr. 5 sollte – ggfs. mit einer Bürgerbeteiligung – erwogen werden eine Fußgängerampel einzurichten.
- Rückbau von zwei Parkplätzen am Ems-Hochhaus, so dass beiderseits Raum für Gehwege ist. (Markierung x1 und x2)
- Gegenüber an der alten Mörfelder Straße werden die Fahrradständer unter Wegfall von Parkplätzen von der Straße weiter abgesetzt, damit ein Gehweg entsteht (Markierung x3
- Der nördliche Gehweg in der Sandhügelstraße wird verbreitert auf mindestens 2,50 m (Markierung x4)
- Der Kreuzung Weingärtenstraße/Lilienstraße/Sandhügelstraße wird umgestaltet und im Kreuzungsbereich die Straßenquerschnitte verringert, so dass nur noch wenige Meter Straße überquert werden müssen. Auch hier könnten Fußgängerüberwege eingerichtet werden.
- Der Gehweg an der Rückseite des Investorengebäudes in der Weingärtenstraße wird auf 2,50 m verbreitert.
Über die „neue Mitte“ hinaus bereitet der Kelsterbacher „Standard in der Verkehrsplanung“ für zu Fuß Gehende keine Freude:
I.) Wir mussten leider erfahren, dass es für die Karl-Treutel-Schule keinen aktuellen Schulwegplan gibt. Die Erstellung von Schulwegplänen, die Einrichtung sicherer Schulwege und die regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung ist in Hessen rechtlich vorgeschrieben. Die Stadt als örtliche Verkehrsbehörde ist hier in besonderer Pflicht.
II.) Uns wurde berichtet von Unfällen mit Kindern und Beinahe-Unfällen – auch auf Schulwegen im Stadtgebiet. Desweiteren gibt es Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern über unsichere oder zugeparkte Zebrastreifen – häufig verursacht von Eltern, die in der Rush-Hour ihre Kinder zur Schule bringen oder abholen. Diese Zustände sind teils seit Jahren bekannt. Nicht bekannt ist hingegen, ob und wie Unfälle systematisch analysiert werden um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Da an bekannten neuralgischen Punkten, wie z.B. an der Karl-Treutel-Schule oder in der Bergstraße/Mainstraße seit langer Zeit keinerlei Maßnahmen ergriffen worden sind, liegt die Vermutung nahe, dass es hier keine planmäßige Herangehensweise gibt. Dabei könnte in vielen Fällen mit einfachen und preiswerten Maßnahmen Abhilfe geschaffen werden.
III.) Im Kelsterbacher Stadtgebiet findet man hunderte Stellen, die FußgängerInnen das Leben schwer machen. Gefahrenstellen, unübersichtliche Einmündungen, nicht vorhandene oder unsichere Fußgängerüberwege, nicht abgesenkte Bordsteine, überbreite Straßenquerschnitte, extrem schmale oder fehlende Gehwege, großflächig zugelassenes Gehwegparken in vielen Bereichen…
Wir haben beispielhaft (und garantiert unvollständig) einige der zu bemängelnden Standorte auf einer Karte kenntlich gemacht:
Unser Fazit: beim Kelsterbacher „Standard in der Verkehrsplanung“ wird eher nach der Maßgabe Versuch & Irrtum vorgegangen. Für Fußgängerinnen und Fußgänger wird dabei wenig bis nichts getan. Dabei ist zu Fuß gehen die preiswerteste, umweltschonendste, platzsparendste und sozialverträglichste Form der Mobilität. Zu Fuß Gehende beleben die Straßen, machen eine direkte Kommunikation möglich und sorgen für Urbanität.
Zur Situation in der Stadtmitte schlagen wir vor das Thema auf einer Sitzung des Ausschusses Bauen, Planen, Umweltschutz öffentlich zu erörtern. Dabei könnten neben Stadtverordneten auch die Grundschulen, Kitas und die Altenpflegeeinrichtungen eingeladen werden. Außerdem sollten Bürgerinnen und Bürger gehört werden.