Zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 08.11.2018 hatte Bürgermeister Ockel (SPD) einen Punkt auf die Tagesordnung gesetzt, der es in sich hatte. Die städtische Wohnungswirtschaft sollte in eine GmbH ausgelagert und teilprivatisiert werden.
Nur wenige Tage zuvor waren uns die Unterlagen und Vertragsentwürfe zur Verfügung gestellt worden. Diese bedeuteten einen erheblichen Einschnitt in die städtische Wohnungspolitik der kommenden Jahrzehnte. Die Vorlage liest sich wie ein Protokoll des Scheiterns und des Missmanagements. Statt die hausgemachten Probleme zu analysieren und zu beseitigen, wird der Ausweg in einer Auslagerung und teilweise Privatisierung gesucht – mit unabsehbaren Folgen.
Änderungsantrag der WIK
Die WIK stellte zur der Vorlage einen Änderungsantrag:
Änderungsantrag zu Beschlussvorlage 281/2018 – Neuorganisation der Wohnungswirtschaft
Die Stadtverordnetenversammlung beschließt:
Die geplante Neuorganisation der Wohnungswirtschaft, sowie die Ausschreibung für die Auswahl eines Kooperationspartners mit dem Ziel der Gründung einer gemischt-öffentlich-privaten Wohnungsbaugesellschaft mit den beiliegenden Vertragswerken werden zurückgestellt.
Weiterhin wird der Magistrat beauftragt bis zum zeitigen Frühjahr 2019:
a) die in der Beschlussvorlage genannten Probleme und Defizite detailliert darzulegen und Ursachen für die Schwierigkeiten zu benennen
b) alternative Lösungsansätze zu erarbeiten und deren jeweilige Vor- und Nachteile ausführlich und verständlich darzustellen
c) unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen um Abläufe innerhalb der Verwaltung zu optimieren und zu vereinfachen sowie Defizite in der internen Aufsicht und im Management abzustellen
Begründung:
Es gibt erhebliche Bedenken gegen die vom Magistrat vorgelegte Verfahrensweise.
Die Sachdarstellung der Verwaltung zählt eine Reihe von Schwierigkeiten und Mängeln der bestehenden Wohnungsverwaltung durch die Stadt Kelsterbach bzw. den Eigenbetrieb Wohnungswirtschaft auf:
- in der derzeit extern vergebenen Bewirtschaftung
- in der Sachbearbeitung und Zuteilung von Wohnungen sowie der Erhebung der Fehlbelegungsabgabe
- im Controlling
- in der Überwachung der externen Aufgaben
- fehlende Ansprechpartner für die städtischen Mieter
- in der Verwaltung und Betreuung der Wohnungssuchenden
- in der städtebaulichen Entwicklung des Wohnungsbestandes
- Sanierungsstau im städtischen Wohnbestand
- in der fehlenden systematischen Entwicklung und der fachlichen Begleitung und Koordination der personellen Ressourcen
Nicht erläutert wird, wieso die Schwierigkeiten nicht durch interne Maßnahmen wie z.B. Einstellung von zusätzlichem Personal, gezielte Schulung des eigenen Personals oder dem Einschalten eines qualifizierten externen Dienstleisters behoben werden kann.
Ebenfalls nicht erläutert wird, wieso der Magistrat nur die Gründung einer gemischt-öffentlich-privaten Wohnungsbaugesellschaft als Lösung vorschlägt. Ein Vergleich mit anderen Lösungsmöglichkeiten findet nicht statt.
Kommunalpolitisch von besonderer Bedeutung in den Vertragsentwürfen ist die Übertragung der Standortsuche für neue Wohnungsvorhaben auf den privaten Vertragspartner (Präambel und § 2 des Konsortialvertrags) sowie die generelle Förderungspflicht zu Gunsten der Wohnstatt GmbH (§ 9). Die Stadtverordnetenversammlung würde bei der Festlegung von Standorten übergangen werden.
Die Entscheidung über die Durchführung des Vergabeverfahrens ist mit der Entscheidung über die Errichtung des Unternehmens (Wohnstatt GmbH) gleich zu setzen. Ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren wird quasi automatisch zur Gründung der Wohnstatt GmbH führen.
Die Umsetzung der in der Vorlage präsentierten Ausschreibung mit der Gründung der Wohnstatt GmbH und dem Abschluss der beigefügten Verträge führt zu einer elementaren Veränderung der kommunalen Wohnungswirtschaft in Kelsterbach.
Ein Vorteil könnte sein, dass die in der Vorlage geschilderten aktuell existierenden Mängel in diesem Bereich behoben oder wenigstens gemindert werden können.
Diesem möglichen, aber nicht gesicherten Vorteil steht eine Reihe von Nachteilen bzw. Risiken gegenüber:
Die Stadt gibt einen Teil ihrer Entscheidungsbefugnisse an einen privaten Partner ab. Gravierend ist insbesondere, dass dem Partner die Standortauswahl und die Planung von zukünftigen Neubauvorhaben im Wohnungsbereich übergeben werden soll. Bisherige Einflussmöglichkeiten der Stadtverordnetenversammlung (Standortauswahl!) werden damit beschnitten.
Die Übertragung zentraler wohnungswirtschaftlicher Aufgaben von der Stadt auf die Wohnstatt GmbH führt dazu, dass die Stadtverordnetenversammlung ihre direkten Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten in diesem Bereich verliert. Die Stadtverordnetenversammlung kann der GmbH keine (politischen) Aufträge erteilen, und hat nur sehr eingeschränkten Einblick in die Vorgänge bei der GmbH. Daran ändern auch die 3 Stadträte als Aufsichtsratsmitglieder nichts, da sie Interna der GmbH nicht nach außen kommunizieren dürfen. Die im Gesellschaftsvertrag fixierte Treuverpflichtung der Stadt gegenüber der Wohnstatt GmbH macht deutlich, dass die Stadt und die Stadtverordnetenversammlung bei einem eventuellen Konflikt in einer geschwächten Position sein kann.
Unübersichtlich ist auf der Basis der vorliegenden Unterlagen auch die Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos für die Stadt. Wenn die vom privaten Partner vorzulegende und umzusetzende Sanierungsplanung finanziell aus dem Ruder läuft, kann es zu erheblichen Zusatzbelastungen des städtischen Haushaltes kommen.
Die Einflussmöglichkeit der Stadt auf einen privaten Kooperationspartner ist erheblich geringer, als es gegenüber dem städtischen Eigenbetrieb ist.
Darüber hinaus sind die Unterlagen unvollständig. Es fehlen:
- Wirtschaftlichkeitsberechnung
- Anlage 1 zum Vertrag über die Verwaltung und Bewirtschaftung des städtischen Wohnungsbestandes
- Anlage 1 Vertrag über die Planung sowie Rahmenvertrag über die Ausschreibung und Überwachung von Gebäudesanierungen
Die vorliegende Entscheidung wird die Wohnungswirtschaft der Stadt Kelsterbach möglicherweise für Jahrzehnte prägen. Angesichts der enormen Bedeutung bedarf es deutlich mehr Zeit um die Probleme und Defizite detailliert darzulegen und Ursachen zu analysieren. Vor einer Entscheidung muss zudem eine Alternativenbetrachtung stattfinden und die Vorgänge in der Verwaltung dringend verbessert werden.
Bürgermeister zieht Vorlage zurück
In der Haupt- und Finanzausschuss-Sitzung am 08.11. macht der WIK-Änderungsantrag offenbar auch auf einige Mitglieder der SPD Eindruck. Demnach sollten beispielsweise im Aufsichtsrat der beabsichtigten GmbH auch Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung vertreten sein. Der Bürgermeister verteidigte die Vorlage und versuchte zu beschwichtigen. Er habe aber „kein Problem damit“, die Sache zu überarbeiten und in der nächsten Sitzungsrunde im Dezember erneut einzubringen. Im Protokoll der Sitzung wurde festgehalten, dass die Ergebnisse der Diskussion „beachtet“ werden sollen.
Die WIK zweifelt daran, dass innerhalb eines Monats unsere grundlegende Kritikpunkte ausgeräumt werden können. So fehlt vor allem eine Alternativenbetrachtung, also Wege aufzuzeigen, wie die Probleme auch auf anderem Wege angegangen werden können.