Demokratie trotz Pandemie – Teil 2

Offener Brief an Stadtverordnetenvorsteherin Helga Oehne

Unser Artikel „Demokratie trotz Pandemie​​​​​​​“ hat hohe Wellen geschlagen. Die Stadtverordnetenvorsteherin Helga Oehne (CDU) hat persönlich dazu Stellung genommen. Dabei habe ich darin – stellvertretend für die WIK – etwas vorgeschlagen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte: So viel demokratische Teilhabe wie in der aktuellen Lage mit einfachen technischen Mitteln erreicht werden kann.

Da Helga Oehne sich mit einer Gegendarstellung in Form eines offenen Briefs direkt an mich gewendet hat, werde ich ihr in gleicher Form antworten.

Sehr geehrte Frau Oehne,

Ich war etwas irritiert über Ihr Schreiben, das explizit als „Gegendarstellung“ betitelt ist. Aus meiner Sicht ist es auch gar keine Gegendarstellung sondern eine Gegenrede. Ich möchte darauf gerne im Detail antworten.

Sie beschreiben zuerst ausführlich den Status Quo: „Die allgemeine Infektionslage beeinträchtigt auch die Arbeit der kommunalen Vertretungskörperschaften. Die Mitglieder der Gemeindevertretungen sind wie alle anderen Einwohner von dem krankheits- oder quarantänebedingten Ausfall bedroht.

Aufgrund des Altersdurchschnitts gehören viele Gemeindevertreter zu den sog. Risikogruppen, denen ganz besonders empfohlen wird auf soziale Kontakte zu verzichten.

Der Schutz für Leib und Leben hat daher gemäß Artikel 2 Grundgesetz in dieser besonderen Zeit oberste Priorität.“

Ich kann Ihre Vorsicht absolut nachvollziehen und teile sie auch. Es ist in der Tat so, dass die Stadtverordnetenversammlung im Vergleich zur restlichen Bevölkerung einen deutlich höheren Altersdurchschnitt hat. Dies ist aber unabhängig von Corona aus vielerlei Gründen ein Problem. Auf meinen Vorschlag, Wege zu finden um dennoch als Stadtverordnetenversammlung handlungsfähig zu bleiben, gehen Sie in keiner Weise ein. Stattdessen erklären Sie weiter:

„Der Hessische Landtag hat zur Sicherung der kommunalen Entscheidungsfähigkeit die HGO geändert. Gemäß dem neuen § 51 a HGO ist es möglich, dass in dringenden Angelegenheiten der Finanzausschuss an Stelle der Gemeindevertretung entscheidet, sofern in diesem Zeitraum (z.B. aus Gründen des Infektionsschutzes) keine Sitzung der Gemeindevertretung stattfindet und die zu treffende Entscheidung aus Gründen des öffentlichen Wohls keinen Aufschub duldet. Der Finanzausschuss kann in diesem Fall in nichtöffentlicher Sitzung tagen und die Entscheidung kann im Umlaufverfahren getroffen werden. Die in dieser Form behandelte Angelegenheit ist in die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Gemeindevertretung aufzunehmen.“

In anderen Kommunen wird darüber diskutiert, wie Demokratie trotz Pandemie funktionieren kann. In Kelsterbach ist eine solche Diskussion Fehlanzeige. Dabei hätten wir es in Kelsterbach doch sehr einfach: Die Stadtverordnetenversammlung besteht aus (theoretisch) 31 Stadtverordneten. Theoretisch deshalb, weil es einzelne Fraktionen gibt, die trotz Anwesenheitspflicht dort fast nie gesehen werden.

Zusätzlich wohnen Stadtverordnetenversammlungen der Magistrat und Mitglieder der Stadtverwaltung bei. Dazu kommen dann noch zwei bis drei Pressevertreter. Wir reden also von maximal 50 Menschen die notwendig sind, damit die Versammlung tagen kann. Die Zuschauenden habe ich absichtlich an dieser Stelle ausgeklammert. Der Bürgersaal, im dem die Versammlungen stattfinden, hat eine Größe von 432 m² zuzüglich einer 96 m² großen Bühne. Würde man 50 Menschen hier gleichmäßig verteilen, hätte problemlos jede(r) deutlich mehr als zwei Meter Abstand zum nächsten Menschen.

Wurde über so einen Ansatz diskutiert? Nein. Ebensowenig wird über meinen Vorschlag der Videokonferenzen diskutiert.

Zum Thema Livestream führen Sie aus:
„Ihre Anregung durch einen Livestream die Sitzungen in das Internet zu übertragen, stellt sich als schwierig dar. Film- und Tonaufnahmen mit dem Ziel der Veröffentlichungen sind in öffentlichen Sitzungen gemäß § 52 (3) HGO möglich, sofern dies in der Hauptsatzung bestimmt ist. In der Hauptsatzung der Stadt Kelsterbach ist diese Vorgehensweise jedoch nicht vorgesehen. Wesentliche Änderungen der Hauptsatzung sollen gemäß § 6 (2) HGO im letzten Jahr der Wahlzeit der Gemeindevertretung nicht mehr vorgenommen werden. Aus diesem Grund können wir einen Livestream für Sitzungen zurzeit nicht anbieten.“

Es freut mich zuerst, dass Sie den Livestream nicht als „unmöglich“ sondern nur als „schwierig“ ansehen. Ihre Schlussfolgerung, dass kein Livestream für Sitzungen angeboten werden kann, teile ich allerdings nicht. In der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) steht nicht, dass keine wesentlichen Änderungen an der Hauptsatzung vorgenommen weden dürfen – sie sollen nur nicht vorgenommen werden. Änderungen sind also möglich. Ebenso ist zu klären, ob das Erlauben eines Livestreams eine wesentliche Änderung darstellen würde. Aus meiner Sicht ist dies nicht der Fall.

Selbst wenn keine globale Pandemie herrschen würde, würde ich die Verbesserung der Transparenz durch ein explizites Erlauben von Live-Streams nicht für eine wesentliche sondern für eine selbstverständliche Änderung halten.

Abschließend erklären Sie. dass, sobald es die Viruslage wieder zulasse, versucht würde, die Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung unter hohen hygienischen Bedingungen wieder stattfinden zu lassen. Wie genau die Viruslage dafür aussehen soll, erklären Sie allerdings nicht.

Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie als Stadtverordnetenvorsteherin nach Wegen suchen würden, wie die Stadtverodnetenversammlung wieder tagen kann. Auch damit wir solche Diskussionen von Angesicht zu Angesicht führen können.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Hufgard

(Stadtverordneter)